"Man sollte eine Herzbeteiligung auf jeden Fall ernst nehmen" – Seite 1

Wie wirkt sich eine Corona-Erkrankung auf Leistungssportler aus? Das wird mittels der Cosmo-Studie untersucht, an der sich zwölf universitäre sportmedizinische Institute beteiligen und die vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft finanziert wird. Von rund 2.000 Sportlerinnen und Sportlern, erkrankten und nicht erkrankten, wurden medizinische Befunde und leistungsdiagnostische Daten erhoben und mit Daten von vor der Pandemie abgeglichen. Leiter der Studie ist Andreas Nieß, der als ärztlicher Direktor der Abteilung Sportmedizin am Universitätsklinikum Tübingen arbeitet.

ZEIT ONLINE: Herr Nieß, Anfang März werden Sie erste Studienergebnisse für die Fachwelt publizieren. Können Sie jetzt schon erste Erkenntnisse aus Ihren Daten ziehen?

Andreas Nieß: Wir haben von Covid-19 betroffene ambitionierte Breiten- und Leistungssportler untersucht, von denen fast die Hälfte zum Bundeskader oder Profibereich gehören oder in den ersten beiden Ligen ihres Sports aktiv sind. In dieser Gruppe haben wir bei den Spitzensportlern im Vergleich zu den Breitensportlern teilweise weniger langanhaltende Symptome gesehen. Das dürfte sich auch beim Vergleich mit der Gesamtbevölkerung so darstellen. Nur unter zwei Prozent der infizierten Sportler mussten in einer Klinik behandelt werden. Keiner musste auf eine Intensivstation.

Andreas Nieß © Universitätsklinikum Tübingen

ZEIT ONLINE: Hat Sie das überrascht?

Nieß: Das war infolge der Altersstruktur zu erwarten. Auch weil die besonders schweren Fälle wohl am Ende nicht in einem sportmedizinischen Institut landen. Was wir auch sehen konnten, ist, dass Art und Muster der Beschwerden bei Leistungssportlern in etwa dem bei mild oder moderat Erkrankten in der Gesamtbevölkerung entspricht, also zum Beispiel Schnupfen, Husten, Geschmacksverlust oder auch Atemnot.

ZEIT ONLINE: Wie viele der infizierten Sportler hatten langfristige Probleme?

Nieß: Etwa ein Drittel hatte bis zu vier Wochen mit Symptomen wie Atemnot unter Belastung zu kämpfen. Etwa sechs Prozent der untersuchten Spitzensportler mussten länger als vier Wochen ihr Training pausieren.

ZEIT ONLINE: Das klingt erst mal nach wenig.

Nieß: Ich finde diese Zahl schon relevant. Stellen Sie sich vor, da sind 100 Athleten, die zu Olympia wollen. Wenn davon sechs länger als vier Wochen ausfallen, sich dadurch nicht für Olympia qualifizieren, müssen diese Personen vier Jahre auf die nächsten Spiele warten. Und für diese sechs ist das Jahr damit dann auch gelaufen.

ZEIT ONLINE: Wie häufig tritt Long Covid auf?

Nieß: Das können wir noch nicht genau sagen, da die Pandemie dafür noch nicht lange genug läuft. Bei uns ist es so, dass die untersuchten Sportler nach einem halben Jahr einen Onlinefragebogen ausfüllen sollen und noch mal ein halbes Jahr später wieder in den Instituten untersucht werden. Wir fangen jetzt also an, gute Verlaufsdaten zu bekommen. Außerdem ist die Frage, was man bei Spitzensportlern als Long Covid definiert. Wenn Sportler durch Corona in der Lunge eine um zwei, drei Prozent geringere Sauerstoffaufnahme haben, ist das leistungsrelevant. Ein normaler Mensch würde das dagegen wohl kaum bemerken.

ZEIT ONLINE: Welche Erkenntnis hat Sie während der Studie am meisten überrascht?

Nieß: Wir hatten bisher einen sehr hohen Rücklauf bei den Fragebögen. Das ist sonst nicht immer der Fall und zeigt uns, dass die Sportler ein hohes Interesse an dem Thema haben. Und die Länge des Trainingsausfalls bei den Spitzensportlern hat mich auch überrascht. Die angesprochenen sechs Prozent können länger als vier Wochen nicht trainieren. Eine britische Studie kommt auf 27 Prozent, die vier Wochen oder länger brauchen, bis die volle Belastung im Training möglich war. Ich hätte erwartet, dass Spitzensportler auf eine schnellere Rückkehr ins Training drängen. Außerdem hat mich überrascht, wie vielfältig die individuellen Belastungen durch Corona sind: neben Atemnot bei Belastung zum Beispiel auch Schlafstörungen und Muskelbeschwerden. Das sind insbesondere für Sportler auch leistungsrelevante Beschwerden.

ZEIT ONLINE: Unterschätzen Sportler aus Ihrer Erfahrung eine Infektion mit dem Coronavirus?

Nieß: Das geht ein wenig mit der Dynamik der Pandemie einher. Bereits am Anfang hatten nicht wenige Sportler Sorgen, wohl auch, weil Wettbewerbe abgesagt wurden und Trainingsmöglichkeiten wegfielen. Aus der reinen Beobachtung heraus gab es aber auch einzelne Athleten, die vermittelt haben, sich unangreifbar zu fühlen. Nach ein paar Monaten ist dann aber vielen der Ernst der Lage bewusst geworden. Durch die Omikron-Variante habe ich persönlich gerade den Eindruck, dass es sich wieder in die andere Richtung entwickelt.

"Keine Häufung schwerer kardialer Ereignisse"

ZEIT ONLINE: Es gab zuletzt einige Berichte über Herzprobleme bei Fußballern infolge einer Corona-Erkrankung. Ein prominentes Beispiel ist Alphonso Davies vom FC Bayern. Was wissen Sie über dieses Phänomen?

Nieß: Ganz am Anfang der Pandemie gab es Fallstudien bei Sportlern, die in etwa 15 Prozent der Fälle von einer Herzmuskelentzündung berichteten. Neuere Studien gehen derzeit eher von 0,5 bis drei Prozent an Fällen aus, in denen es auch eine Beteiligung des Herzmuskels gibt. Dagegen konnte man aber zum Glück bislang noch keine Häufung schwerer kardialer Ereignisse bei Sportlern – also zum Beispiel einen plötzlichen Herztod – beobachten. Aber man sollte eine Herzbeteiligung auf jeden Fall ernst nehmen und einen Sportler, wenn der Verdacht auf eine Herzmuskelentzündung besteht, sofort rausnehmen.

ZEIT ONLINE: Gibt es Sportler, die wegen Long Covid ihre Karriere beenden mussten?

Nieß: Das haben wir so in der Studie nicht explizit untersucht. Ich persönlich kenne bisher keinen Fall. Die Frage bleibender Spätfolgen bei Sportlern ist noch ungeklärt. Denkbar ist das allerdings schon.

ZEIT ONLINE: Die Handball-EM hat gerade viele Corona-Fälle erlebt, die Olympischen Spiele beginnen bald: Wie gefährlich sind solche großen Sportveranstaltungen für Sportler?

Nieß: Auch hier haben wir eine gewisse Dynamik: Am Anfang der Pandemie hatte man große Sorgen, überhaupt Sport erlauben zu können. Dann kamen Hygienekonzepte, die zumeist gut funktioniert haben, auch wenn es negative Ausnahmen gab wie bei der Leichtathletik-EM in Toruń. Durch Omikron wird das jetzt offenbar wieder schwieriger, da infolge der deutlich höheren Infektiosität dieser Variante nicht auszuschließen ist, dass das Risiko einer Ansteckung bei der Ausübung des Sports selbst zunimmt.

ZEIT ONLINE: Es könnte also auch zu Ansteckungen auf dem Spielfeld oder der Arena kommen. Wie sehen Sie das Risiko in Peking?

Nieß: Es wird extreme Restriktionen geben, um größeren Ausbrüchen vorzubeugen. Aber Fallzahlen in der Größenordnung der Handball-EM sind nicht auszuschließen. Und auch für Omikron gilt: Bei jedem infizierten Sportler ist der Ausgang offen und es besteht ein Restrisiko. Zudem gefährdet ein positiver Corona-Test auch ohne Symptome die Teilnahme am Wettkampf. Daher raten wir allen Sportlern, eine Infektion so gut es geht zu vermeiden.

ZEIT ONLINE: Wie gefährlich ist die Omikron-Variante für Sportler?

Nieß: Tatsächlich ist das noch schwierig, abschließend zu sagen. Es sieht so aus, dass die Lunge weniger stark betroffen ist. Bei den anderen Organen wissen wir es aber noch nicht genau. Etwa, wie hoch die Beteiligung des Herzmuskels dabei ist.

ZEIT ONLINE: Also raten Sie Sportlern weiter zur Impfung?

Nieß: Ja, unbedingt! Das ist für das Individuum und die Gesellschaft wichtig. Ich sehe auch eine hohe Impfbereitschaft unter den Sportlern. Einige haben Bedenken wegen der Nebenwirkungen, deshalb sollte es immer eine persönliche Beratung und Planung zur Impfung geben. Für viele Nichtsportler ist es kein Problem, sich bei Nebenwirkungen einen Tag ins Bett zu legen. Ein Profisportler verpasst möglicherweise eine wichtige Trainingseinheit. Daher ist das Timing bei der Impfung wichtig. Mittlerweile schätze ich, dass die Impfbereitschaft höher ist als in der Gesamtbevölkerung.

ZEIT ONLINE: Während einige Sportler aus kleineren Sportarten ihre Long-Covid-Erkrankung öffentlich gemacht haben, sind aus dem Fußball keine Fälle bekannt. Woran liegt das?

Nieß: Der Eindruck kann entstehen. Vielleicht liegt es daran, dass Berufssportler Sorge um ihren Marktwert haben. Ich habe nicht den Eindruck, dass Fußballer per se das Thema bagatellisieren.

ZEIT ONLINE: Was raten Sie Leistungssportlern in Bezug auf Corona?

Nieß: Nicht weniger vorsichtig sein, nur weil die Omikron-Variante als vermeintlich harmloser gilt. Also weiter an die Hygieneregeln halten. Dann natürlich einen guten Impfstatus haben, mit Booster-Impfung. Falls es doch zu einer Ansteckung kommt, die Krankheit ernst nehmen. Auch wenn keine Symptome auftreten, mindestens zwei Wochen keine starke Belastung. Vor Wiedereinstieg in den Sport sollte eine ärztliche Untersuchung erfolgen, und man sollte bei der Belastungssteigerung langsam und schrittweise vorgehen. Gegen Beschwerden wie Atemprobleme bei Belastung oder ein Stechen in der Brust sollte auf keinen Fall antrainiert werden. Insgesamt also vorsichtig sein. Wenn ich manchmal davon lese, wie schnell Profisportler nach einer Infektion wieder voll trainieren, da wundert man sich schon.

ZEIT ONLINE: Wie sieht es bei Amateursportlern aus? Sporthallen und Fitnessstudios meiden, um eine Infektion zu verhindern? Oder doch weiter Sport machen, weil es grundsätzlich sehr gesund für den Körper ist?

Nieß: Ich würde niemals raten, den Sport ganz sein zu lassen. In der aktuellen Hochphase der Omikron-Welle ist der Sport draußen die sichere Variante. Wenn das nicht geht, sollte man sich strikt an die Hygieneregeln halten. Ganz wichtig: Nur weil ich auf dem Tennisplatz oder dem Handballfeld keine Maske trage, heißt das nicht, dass ich auch im Alltag mit dem Tragen der Maske sorglos bin. Ansonsten sollte bei Indoorsport darauf geachtet werden, dass Betreiber und Nutzer das Hygienekonzept zu hundert Prozent umsetzen.